Desinformation: Demoskopie und PR

Wie es sich für eine ordentliche Demokratie gehört, wird den Menschen aufs Maul geschaut, das macht man mittels Umfragen.

Natürlich fragt man nicht einfach nur um, da könnte man ja die wirkliche Meinung erfahren, die die Menschen haben, und wer will das schon. Es wird sich lieber perfidester Mittel bedient, mit denen man jeden hanebüchenen Unfug und jede noch so abstruse Forderung als Mehrheitsmeinung hinstellen kann.

So ist der geneigte Leser dann auch wenig überrascht, wenn schon in den Meinungsumfragen nach Belieben Suggestivfragen eingesetzt werden, damit am Ende das gewünschte Ergebnis herauskommt.

Wir denken uns jetzt eine Umfrage aus. Wir sind hypothetische Nudelhersteller und wollen unseren Absatz steigern, die Kartoffel ist unser größter Konkurrent. Wir beschäftigen uns mit der Kartoffel und erkennen, dass es sich um ein Nachtschattengewächs handelt. Kartoffeln enthalten Alkaloide, hauptsächlich in den grünen Stellen direkt unter der Schale und im Kraut. Diese Stoffe sind auch wirklich alles andere als gesund, und darum schälen die Hausfrauen dieser Welt Kartoffeln. Am besten neutralisiert man diese Gifte übrigens mit frittieren, weshalb Kinder die Pommes so lieben, kleiner Einschub am Rande.

Also fragen zum wir Thema giftige Alkaloide in Kartoffeln:
Wissenschaftlich wurde belegt, dass natürlich vorkommende Alkaloide in Kartoffeln vorhanden und für die Menschen giftig sind – Kinder sind besonders betroffen. In Deutschland werden durchschnittlich an vier Tagen in der Woche Kartoffeln als Beilage gegessen. Geht Ihnen der Ersatz der Kartoffeln durch die Nudeln

a) schnell genug
b) nicht schnell genug
c) weiß nicht

Fertig ist die perfekte Umfrage.

Wir haben also ein tatsächliches Vorkommen von irgendwas genommen und damit eine indirekte Forderung begründet, nämlich die Verbannung der Kartoffel aus der Küche, und dann lassen wir nur noch die Auswahl „soll weg“ oder „soll schneller weg“ zu. Nehmen wir an, unsere befragten hätten zu 35 % für „a“ abgestimmt und zu 17 % für „b“, dann machen wir jetzt eine Meldung daraus:

„Mehr als die Hälfte aller Deutschen fordert die Abschaffung der Kartoffel!“ im intellektuellen Blatt oder „Giftalarm! Schafft die Kartoffel ab!“ in der FIES-Zeitung.

Alternativ lancieren wir:
„Fast die Hälfte der Mütter schützt ihre Kinder ungenügend vor giftigen Alkaloiden“ im intellektuellen Blatt oder „Mütter vergiften ihre Kinder!“ in der FIES-Zeitung.

Je nachdem, ob wir den freiwilligen Verzicht auf Kartoffeln wollen oder ob wir uns ein Gesetz erhoffen. Als Quelle dient das Demoskopie-Institut, wir bleiben dezent im Hintergrund. Wir gehen aufs Ganze, wir wollen das Gesetz, ab jetzt machen wir PR.

Also beauftragen wir einen arbeitslosen Mathematiker oder Biologen, einige Statistiken für uns zu erstellen, die eine Kausalität zwischen irgendwelchen Krankheiten oder Ereignissen suggeriert. Da man mit der Methode problemlos behaupten kann, dass der Klapperstorch die Kinder bringt und wir den lästigen Konkurrenten Kartoffel los werden wollen, ist das unser Mittel der Wahl.

Unsere Meldungen werden lanciert, wie immer sprach FIES zuerst mit dem Toten, auch die Intellektuellen Blatt Leser wissen wie üblich mehr, der Rest hat inzwischen nachgezogen. Journalisten schreiben gerne ab und schließlich müssen die anderen Blätter ja auch gefüllt werden. Wir sorgen für einen täglichen Aufmacher, etwa derart, dass Kinder mit ADS jeden Mittag Kartoffeln essen, Mütter von Frühgeborenen ebenso, der dauerhafte Konsum von Kartoffeln bei Demenzkranken nachgewiesen ist. Die passenden Statistiken haben wir jedenfalls.

Jetzt müssen wir nur noch die Redaktion einer politischen Talkshow finden, zum Beispiel die von Herzlich aber hart, und überzeugen, dass es kein drängenderes Problem als Alkaloide in den Kartoffeln gibt, was nicht so schwierig ist. Die müssen mindestens wöchentlich senden, und wir haben ein aktuelles Thema und besorgen mindestens zwei Gäste.
Dann schicken wir einen geübten Lobbyisten in die Sendung, der schon immer wusste, dass Nudeln toll sind, am besten einen Müller oder vergleichbar. Die Redaktion findet einen italienischen Pizzabäcker, der das auch schon immer wusste, und einen Geschichtsklitterer, der an die irische Katastrophe von 1846 erinnert. Außerdem holt sie uns einen Abgeordneten, der schon mal vom Verbraucherschutz-Ausschuss gehört hat, dem lassen wir eine „kleine Spende“ zukommen, schon will auch er den Schutz der unschuldigen Kinder vor der bösartigen Kartoffel. Wir garnieren das Ganze mit einem Katholiken, der weiß, dass schon Hildegard von Bingen Dinkel empfohlen hat und sorgen tunlichst dafür, dass so unbequeme Leute wie Udo Pollmer (Lebensmittelchemiker) oder Karsten Ellenberg (Bio Bauer) nicht zu Wort kommen, falls die überhaupt eingeladen sind, denn sonst könnte unser falsches Spiel auffliegen.
Fertig ist unser Agenda Setting, die niegelnagelneue Mainstream-Meinung. Dass es sich schlicht um eine Lobbyisten Lüge handelt, merkt keiner.

Schon nächste Woche sind wir dann beim Speckmann, Thema „wie Alkaloid in Kartoffeln meine Kindheit ruinierte“ mit Benjamin von Stuckrath-Barre oder Bill Kaulitz von Tokio-Hotel als Hauptgast und einen Menschen über 80 als glaubwürdige Garnitur. Ersterer ist so durchgeknallt, dass man eine Schädigung durch was-auch-immer sofort glaubt, letzterer berichtet dann bedeutungsschwanger von den Hungerszeiten nach 1945.

Inzwischen haben wir auch die Redaktion vom örtlichen Satire-Blatt mit ein paar lustigen Karikaturen beglückt, es gibt ja so viele Künstler, die sich gern was dazu verdienen. Das Thema war: „Killerkartoffeln greifen an“, da kann man notfalls auch ein Filmplakat eines Gruselschockers von anno dazumal als Vorlage nutzen.

Jetzt schicken wir irgendwelche anderen Experten, Ökotrophologen mit Trennkost-Empfehlung oder ähnliches durch die Beratungsmagazine, „Tolle Tasse“, „Besuch beim Hausarzt“ oder ähnliche Formate, auch die brauchen schließlich Gäste und Themen, und wir haben beides.
Unsere Freunde von der FIES-zur-Frau Zeitung propagieren derweil Low Carb Diäten, natürlich mit Nudeln. Die Kollegen der Frauenzeitung Jutta haben ebenfalls Empfehlungen, die aktuelle Jutta-Diät läuft unter „Bella Italia“, Rezeptvorschläge mit Nudeln und Tomaten. Tomaten sind zwar auch Nachtschattengewächse und enthalten mehr Alkaloide als Kartoffeln, aber das sagen wir keinem und die Jutta-Redakteure schreiben das auch nicht.

Schon zwei Wochen später haben wir es dann ins Sonntags-Programm, bis zum Juchu gebracht, Thema „Alkaloid – Kartoffeln schlimmer als Kokain?“. Spätestens jetzt hat auch die letzte Hausfrau begriffen, was sie ihren Kindern antut, wenn sie Kartoffeln kocht und unsere schönen Nudeln verschmäht, spätestens jetzt hat der letzte Junkie erkannt, welches Potential in der Kartoffel steckt, wenn man nur das Kraut raucht.
Die Junkies werden als erste bemerken, was für einen unfassbaren Quatsch wir fabriziert haben, denn high werden sie nicht, dafür wird ihnen schlecht, im schlimmsten Fall ersticken sie, denn ihre Atmung könnte versagen. Falls das passiert, können wir auch die Toten auch noch instrumentalisieren. Zynisch, wie wir sind, machen wir sie zu unserem Argument. Schon wieder ein Kartoffel-Opfer.

Und wir bringen unser Gesetz durch und lachen uns in Fäustchen.
Übrigens hat man 2006 Forsa losgeschickt, die dann fragten, ob man Hartz IV grundlegend reformieren oder nur etwas nachbessern müsse. Überraschenderweise stimmen dann sogar die Arbeitslosen einer Reform zu. Man muss halt wissen, wie man fragt und interpretiert. Die Arbeitslosen wollten eine Reform, und hofften auf mehr Menschlichkeit und die Neoliberalen wollten auch eine, am besten mit noch mehr Druck. So bekommt man dann 68 % Zustimmung. Hab ich also nicht erfunden. Und wenn man das ein paar Mal wiederholt, kann man auch das Fördern unter Hartz IV komplett einstellen, den Rentenzuschuss streichen, und Elterngeld für Mütter in Hartz IV Bezug abschaffen und behaupten, die Leute wollten das so, wie im Jahr 2010 geschehen.

Dazu auch: http://www.spiegel.de/wirtschaft/hartz-iv-mehrheit-der-deutschen-befuerwortet-reform-der-reform-a-419225.html am 04.03.2013

Auf die Art und Weise kann man dann auch Deutschland-Trends fabrizieren. Sind sie mit Frau Merkel zufrieden oder sehr zufrieden? 70 % Zustimmung garantiert. So macht man dann Politik. Egal zu welchem Thema, irgendwie bekommt man immer Zustimmung simuliert. Und dann kann man die Schulen reformieren, den Lockführern das Streikrecht absprechen, den Fußballbundestrainer bestimmen, das Rauchen verbieten oder eben Kartoffeln durch Nudeln substituieren.

Intelligenzfreie Langweiler macht man zu Superstars, missliebige Politiker werden demontiert, steindumme Politikdarsteller werden so zu Fachleuten hochgejubelt. Selbst der letzte Bundespräsident wurde so erst ins Amt gehievt und dann aus demselben gejagt. Der Alt-Kanzler Schröder soll gesagt haben, zum Regieren bräuchte er „Bild, BamS und Glotze“. Ob er das tatsächlich gesagt hat, lässt sich nicht belegen, allein, das man ihm das zutraut, sagt schon alles.

Inzwischen bestimmen Personalfragen die Agenda, nicht mehr Sachfragen. Konflikte werden als willkürliche Entscheidungen einzelner dargestellt, nicht mehr als Ergebnis eines Entscheidungsprozesses, der von vielen getragen wird. So kommt es dann auch, dass Angela Merkel überhaupt nicht mit den Ergebnissen ihrer Regentschaft in Verbindung gebracht wird. Das Negative lastet man den Ministern an, dass sie dieselben mindestens berufen hat und die Ergebnisse vorherbestimmt, kommt in den Medien nicht mehr vor. Damit fehlt dieses Wissen in der Meinungsbildung der Menschen, denen abgewöhnt wurde, derartiges zu erkennen.

Der Journalismus unserer Tage ist auch eher gierig nach Sensationen statt nach Tatsachen, man sucht nach einer Schlagzeile, damit man seine Blättchen verkaufen kann. Der Einfluss der Verleger und Anzeigenkunden ist inzwischen unübersehbar.

Auch die Kampagnen haben zugenommen. Da werden aus eigentlichen Nicht-Themen wie „Florida-Rolf“ Gesetze erzwungen. Es wäre billiger und für alle Beteiligten auch besser gewesen, man hätte den Mann in Florida gelassen, aber nein, ein Gesetz musste geändert werden, so dass jetzt alle im Ausland lebende Bedürftige auf Staatskosten nach Deutschland gebracht, hier untergebracht und dann in Hartz IV-Bezug genommen werden müssen.

Selbst mit so einem Allerweltsfall wie einem Jugendlichen, der in der Türkei ein englisches Mädchen zu sehr bedrängt haben soll, beschäftigen sich unsere Medien und Politiker. Das wurde dann ausgeschlachtet, damit man Stimmung machen konnte, um nur ja die Türkei nicht in die EU lassen zu müssen.

Wie wenig die Umfragen aber aussagen, konnte man 2005 und zuletzt bei der Niedersachsenwahl im Januar 2013 beobachten. Man hatte für die Bundestagswahl ein Ergebnis von 42 % für die CDU vorhergesagt, bekommen haben sie 35,2 %. Für Niedersachsen sah man die FDP bei 2 %, bekommen hat sie 8 %. Die Demoskopen finden, sie hätten alles richtig gemacht, die Wähler hätten einfach gelogen.

Skandal! Wähler sagen die Unwahrheit über ihr Wahlverhalten, und das, obwohl die Wahlen geheim sind!

Über osthollandia

Ich bin die Tochter von Engelbert.
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