„Papa, wie wo dat damols möt die Kristallnaach?“ „Wat hant die denn in de Schöll vertellt?“ fragte Engelbert zurück und sah mich an.
„Hm, da wären die Leute los gezogen und hätten die Synagogen abgebrannt und die jüdischen Geschäfte zerstört.“ „Jo“ sagte Engelbert, atmete tief durch „dat stimmt, äver bloss halev. Motter, komm ens, dat Kink hät en Vroch“ Und dann erschien meine Omma, Strickzeug in der Hand, setzte sich zu uns an den Küchentisch. „Wat iset denn?“ Und die Omma guckte gütig, wie nur eine Omma gucken kann. „Die Kristallnaach -“ „Aach hür op! E so vill Lüje, wie se do dröver donn…“
Und dann fing sie an zu erzählen. Wie das so war, in der Kristallnacht. Das die Braunen sich gesammelt hätten, im Dorf. „Dat janze NAZI-Jesocks“ Das die in die Stadt gefahren wären, die Synagoge abgefackelt hätten. Und der Feuerwehr hatte man verboten zu löschen, die durften nur Flammenübertritt auf „deutsche Häuser“ verhindern.
Der alte Balthasar hätte sich an dem Abend dann voll laufen lassen. Der wäre der Chef von der freiwilligen Feuerwehr bei uns im Dorf gewesen, das hätte der nicht verknusen können, so einen Befehl, nicht zu löschen.
Und dann wären die Nazis zurück gekommen, aus der Stadt, und hätten erst das Papiergeschäft und dann den Uhrmacher-Laden zerlegt. Die Schaufenster hätten sie kaputt gemacht und Auslage geklaut. Erst dann in Brand gesteckt.
Dann hätten sie dem Rosen Johann aufgelauert. So eine Schweinerei, der wär ja aus dem ersten Krieg gekommen und hätte nur noch ein Bein gehabt. Den hätten sie hätten zusammen geschlagen, Tage später wäre der dran gestorben.
„Ä Jäcksken hödde se dem verpass, un anjeoove hodde se domöt. Ne wiehrloose aale Mann möt bloss e Been dudschlare und domöt aanjäve.“ Meine Omma war noch immer fassungslos, und es war schon über 50 Jahre her.
Ins Krankenhaus hätte der Großvater ihn bringen wollen, aber da wurde gesagt, sie behandeln keine Juden.
„Die Jroßvatter hat sisch dann möt dä Wachmann von die Klinik jeprüjelt un dem die Teng uutjeschlare. Do woß isch, irjentwann holle se dem af. Hand se ja dann och.“
Dann weinte die Omma.
Von den normalen Leuten aus dem Dorf und aus der Stadt hätte da keiner mitgemacht, bei der Kristallnacht. Aber anderntags hätte in der Zeitung gestanden, das sei „ein spontaner Wutausbruch des Volkes“ gewesen.
„Äver wä vom Volk säät dr Feuerwehr, dat die nit lösche dürve? Un wä sät an dr Doktor, dat dä kinne aale Mann mi verarzte dorv, weil dä Mann ene Jüd is? Kannste misch dat vertelle?“
Irgendwie glaube ich meiner Omma mehr als Guido Knopp oder wer da sonst gerade die Geschichte klittert.
Falls das irgendwer nicht versteht – die Sprache nennt sich Rheer Platt.
Jede dieser Berichte erfüllt einen mit Scham. Wir nannten uns Volk der Dichter und Denker…
Lebe seit 50 Jahren in Süddeutschland, habe „Rheer Platt“ gegoogelt, weil ich das verlerne. Und bei Besuchen der letzten zwei Jahrzehnte kaum noch hörte. Wer spricht es noch? Hg
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