Engelbert wurde 1935 geboren. Der war in keiner Armee, denn für die Armee vom Hitler war er zu jung, für die Bundeswehr zu alt.
Mein Vater hat viele Jahre nur eine beschränkte Schulbildung erhalten, denn Rheydt wurde früh bombardiert, viele Schulen waren kaputt und es gab während der ganzen Schulzeit Engelberts immer Schicht-Unterricht. Morgens die kleinen, mittags die mittleren, abends die Berufsschüler. Er hatte trotzdem eine perfekte Rechtschreibung, gute Grammatik und sehr gute Mathekenntnisse in allen Grundrechenarten, konnte gut auswendig lernen und Kopfrechnen.
Mit 14 kam er in die Lehre. Das war nicht wie heute, wo man gefragt wurde, was man machen will. Da ging es zur Berufsberatung, darfst du eine Lehre machen oder musst du direkt Geld verdienen, oh gut, eine Lehre, du wirst Weber, die werden hier gebraucht.
Also macht er eine Lehre zum Weber. Er wäre gerne Textilingenieur geworden. Sein Lehrer und sein Lehrherr erkannten seine Begabung, er war der Einzige Volksschüler, der verkürzen durfte und schon nach 2 Jahren fertig war, statt nach 3. In der Anschlussklasse für die angehenden Ingenieure sassen nur Leute mit Abitur, die waren ihm vor allem in der Mengenlehre und Rechnen mit unbekannten haushoch überlegen, denn das kannte er nicht.
Als ich dann in der Realschule die 6. Klasse besucht habe und wir die binomischen Formeln hatten, hat er sich das von mir erklären lassen. Der fand das gut, das ich das konnte, was ihm verwehrt blieb.
Irgendwann, kurz nach seiner Ausbildung und noch vor Abschluss der Vorbereitungsklasse gab es eine Rede des feinen Herrn Wirtschaftsminister, der damals Erhardt hieß und demnach „war der deutsche Arbeiter zu schade, um Textilien herzustellen“. Mein Vater wusste, das die Textilindustrie in der Heimatstadt verurteilt war, unter zu gehen. Es war ein langsames und grausames Sterben, das sich bis heute hinzieht und von der sich die Region nie erholt hat.
Der Vater bracht die Weiterbildung ab und suchte nach anderen Wegen und fand seine Möglichkeit schließlich im Bau, mein Vater wurde Fußbodenleger. Das Handwerk hatte goldenen Boden, für ihn im doppelten Sinne.
In jenen Tagen hatte die SPD noch keinen Ekel vor Arbeitern und Handwerkern. Ihre Mitglieder waren solche Männer und ihre Frauen. Menschen, die wollten, das ihre Kinder eine Wahlfreiheit im Beruf hatten und die sich deshalb krumm gelegt haben, damit Kinder wie ich auf die Realschule oder gar auf das Gymnasium gehen konnten. Für meinen Vater war die Gesamtschule das Ideal, die Idee, alle gehen zu gleichen Schule und je nach Begabung können die sich bilden – das hat Engelbert begeistert. Der wäre so gerne zum Gymnasium gegangen, aber das war unbezahlbar für eine Witwe mit 6 Kindern.
Nach der Schule habe ich ein soziales Jahr gemacht, danach eine Ausbildung zum Industriekaufmann. Das hieß damals noch so, auch als Mädchen erlernte man den „Beruf des Industriekaufmannes“. Es ist ein Unglück, dass ich dann keinen Kaufmannsgehilfenbrief mehr erhalten habe, sondern schon einen IHK-Lappen wo dann „Industriekauffrau“ drauf stand. Ich hab meine Ausbildung seinerzeit verkürzt, weil ich schwanger war und so passte das gerade.
So bin ich die Tochter eines Handwerkes, eines Bodenlegers. Ein ehrlicher und ehrbarer Mann war mein Vater.
Ich selber bin auch eine Art Handwerker. Es ist schade, das Engelbert nicht mehr erlebt hat, wie ich im Abendstudium den Abschluss zur staatl. geprüften Betriebswirtin gemacht habe. Ich bin sicher, es hätte ihn gefreut.